Wir müssen unbedingt mal ein Schneezeltlager machen!
Vielleicht in Kandersteg – da war ich noch nicht.
Dieser Satz fiel am St. Martins Wochenende an der Blockhütte in Ahl. Genau 90 Tage später machten sich 5 Pfadfinder aus Ahl, Fulda und Hünfeld in zwei randvoll bepackten Fahrzeugen auf den Weg in die Schweiz.
Ziel war das Kandersteg International Scout Center KISC. 4 Tage Zelten auf einem der berühmtesten Zeltplätze Europas in einer verschneiten Bergregion nahe Bern. Es galt die Schönheit des Winters zu erleben, an die persönlichen Grenzen und die Belastbarkeit des Materials zu gehen. Ein richtiges Abenteuer. Es ging darum Erfahrungen zu sammeln, ob und wie ein Winterlager funktionieren kann, worauf zu achten ist, und ob dies ein Format ist, das man einer jugendlichen Pfadfinder-Gruppe anbieten könnte. Im Rahmen dieses Experiments mit Seminarcharakter fand das Lager vom 09.-12.02.2019 statt.
Nach etwa 8 Stunden Anreise und Check-In bei den super freundlichen Pinkies (Camp Staff am KISC) startete der Aufbau unserer Winter-Jurte auf Platz #1 des großen Zeltgeländes. Zuerst hieß es erstmal: 50cm Schnee für eine Jurte von 6 Metern Durchmesser wegschaufeln. Anschließend wurde das Gepäck und Material auf dem eigens für das Zeltlager gebauten Lastschlitten auf den Platz transportiert.
Bei Einbruch der Dunkelheit war der erste Meilenstein erreicht: Das Zelt stand, in 2 Holzöfen loderte Feuer und in einem großen Alutopf dampfte heißes Chili Con Carne. Dann hieß es nach einem Tag langer Autofahrt und endloser Materialschlacht – Bettzeit!
Trotz -2°C überstanden alle die Nacht gut, obwohl die Öfen über Nacht eine Pause eingelegt hatten. Ein Wind mit heftigen Böen weckte uns, die Zeltstangen schwankten bedrohlich hin und her. Vor dem Frühstückskaffee vom Kofferkocher mussten erstmal sicherheitshalber alle Spannschnüre nachgezogen und die Seitenplanen mit langen Schrauben im eisigen Boden verankert werden.
Der Vormittag wurde mit dem Einrichten des Camps, Vorbereitungen und finalen Aufbauten verbracht. Die Sonne kam raus und ließ den Schnee am Zeltplatz glitzern. Nur eine einzige Jurte war auf dem gesamten Campground zu sehen – unsere. Scheinbar kam keine andere Gruppe auf die Idee, im Schnee zu zelten – komisch. Selbst bei den Pinkies waren wir direkt nach der Anreise mit Zelt als ‚the German tough guys‘ mit den ‚big ass black tents‘ bekannt. Man amüsierte sich über unsere beharrliche Ablehnung des Angebots, in einem der warmen Häuser zu schlafen.
Da weiterer Wind und schlechtes Wetter angekündigt waren, wurden in den Nachmittagsstunden die Abspannungen des Zelts deutlich erweitert, was viel Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Jeder Hering oder Sturmanker bedeutete, ein 50cm tiefes Loch in den teils vereisten Schnee zu graben. Trotzdem blieb nachmittags genug Zeit, um eine ausgedehnte Expedition über das komplette KISC Gelände zu machen und die Angebote des Platzes genauer auszukundschaften.
Zum Abendessen machten wir uns auf den Weg zu einem verschneiten Shelter nahe unserer Winter-Jurte. Dort bereiteten wir ein vorzügliches Gulasch in einem Dutch-Oven zu, mit dem wir direkt im Feuer des gemauerten Kamins kochten. Mit Geschichten, Gitarrenspiel und leckerem Abendessen verbrachten wir den Abend im Shelter, während ringsum die nächtliche Schneelandschaft immer mehr zuschneite.
Halb 8 am nächsten Morgen. Ein lauter Knall.
Verdammt unser Dach ist runtergekommen!
Es folgte eine mehr als unwillige aber zügige Evakuierung der Jurte. Schneehose über den Schlafanzug, Wanderschuhe an, Schneestulpen drüber. Und nichts wie raus! Wie sich herausstellte waren über Nacht 25cm Neuschnee gefallen und hatten die Seilrolle des Jurtendachs zerrissen. Die immense Schneelast hatte das Dach das Dreibein hinunter gedrückt. Zum Glück waren wegen der großen Abspann-Anstrengungen des Vortags alle Seitenstangen stehengeblieben. Auch das nachträglich abgespannte Zweibein blieb an Ort und Stelle. So wurde niemand verletzt und außer der Öfen in der Zeltmitte wurde kein Material vom Schnee verschüttet.
Gegen 10 Uhr war das Dach nach schweißtreibender Schneeräumaktion und Reparaturen wieder in Schuss und der längst überfällige Frühstückskaffee wurde aufgebrüht. Der Zeltplatz war jetzt noch mehr zu einem gigantischen Winter-Wonderland geworden. Hüfthoher Schnee wohin man schaute! Der Campstaff hatte sein Tun mit Schaufeln und Schneefräsen die Wege freizuräumen.
Den niederschlagsfreien Nachmittag nutzten wir, um mit einem großen offenen Feuer in der Jurte die Dachplanen zu trocknen. Währenddessen ergab sich ein Treffen mit Campstaff Annjee aus Singapur, die sich unsere Jurte anschauen wollte. Es folgte eine spannende Unterhaltung über die Verschiedenheiten der Pfadfinder in Deutschland und Singapur. Natürlich wurden auch Halstücher und Batches als Zeichen der Freundschaft getauscht.
Nachmittags wurde die Jurte Stück für Stück abgebaut und mit dem Schlitten zu den Autos zurück transportiert, sodass am nächsten Morgen eine zügige Abreise möglich war. Der letzte Abend fand also statt in der Jurte im Shelter vor dem Kamin statt. Diesmal versuchten wir uns an einem eingelegten Braten im Dutch Oven… Annjee kam nach ihrem Dienst wieder vorbei, und wir verbrachten einen sehr spannenden internationalen Abend mit vielen Fragen, Geschichten und Erzählungen. Es wurde gemeinsam gesungen – auf Deutsch, auf Englisch – und sogar ein chinesisches Pfadfinderlied hatte Annjee im Gepäck. Bei heißem Tee, Feuer und Begegnung verging der Abend wie im Flug.
Für den letzten morgen blieb uns nur noch Abschied zu nehmen und das restliche Equipment in die Autos zu verteilen. Beim Check-Out an der Rezeption verteilte uns unser Referent Johannes noch den Winter-Activity-Reward-Batch – eine Auszeichnung die diejenigen Campteilnehmer in Kandersteg bekommen, die eine Reihe herausfordernder Challenges während ihres Aufenthalts erledigen. Wir hatten einige umgebende Berggipfel auswendig gelernt, die Umgebung mit Schneeschuhen erkundet und ein kleines Iglu gebaut. Damit hatten wir uns den Reward verdient!
Auf Wiedersehen Kandersteg!
Wir blicken zurück auf ein höchst außergewöhnliches Zeltlager, an das wir uns alle noch lange erinnern werden. Die Gruppe aus 5 Pfadfindern, die in dieser Konstellation nie vorher etwas gemeinsam unternommen hatte, war von der ersten Minute an ein Team, das sich blind aufeinander verlassen konnte und perfekt funktionierte. Ohne dieses Teamwork, wäre das Experiment nicht geglückt. Jeder gelangte zu irgendeinem Zeitpunkt des Camps an seine Grenzen, musste sich zusammenreißen weiterzumachen. Dabei wuchs die Gruppe weiter zusammen.
Wir freuen uns auf ein Reflexionstreffen im Nachgang der Fahrt, um die Erfahrungen und Lehren des Winterzeltlagers zu sammeln, zu besprechen und festzuhalten.